Unsere Quartiere im Wandel

Im Schatten des Wahrzeichens

Zwischen Alster und Elbe und mitten in Hamburg liegt die Neustadt. Dort befindet sich das bekannteste Stadtwahrzeichen Hamburgs – der Michel, von wo Sie einen 360 Grad Blick über die Stadt genießen können. In unmittelbarer Nachbarschaft zur evangelischen Hauptkirche Sankt Michaelis und der Michelwiese finden Sie unsere Wohnanlage Martin-Luther-Straße.

Die historische Entwicklung unserer Wohnanlage ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert und beruht auf zwei unterschiedlichen, miteinander verbundenen Geschichten: Der erste Gebäudekomplex wurde im Jahr der Hyperinflation 1923 fertiggestellt. Im Juli 1943 wurde er komplett zerstört und anschließend abgebrochen. Nach langwierigen Planungen bauten wir Anfang der 1950er Jahre am selben Ort neue Wohnungen, die noch heute erhalten sind. Die Grundsteinlegung jährte sich im Jahr 2022 zum siebzigsten Mal.

​​​​​​​1919: Erwerb eines Bauplatzes an der Martin-Luther-Straße

Seit Ende des Ersten Weltkriegs drängten wir darauf, Neubauten für unsere wohnungssuchenden Mitglieder zu errichten. Wir erwarben Bauplätze und trafen die notwendigen Vorbereitungen. Auf städtische Baukostenzuschüsse warteten wir zunächst vergeblich. Hinzu kam Materialknappheit. Aus diesem Grund begannen wir erst Ende 1921/Anfang 1922 mit der Bebauung eines Platzes an der Martin-Luther-Straße, den wir schon 1919 erworben hatten. Die Fundierung erwies sich als problematisch: Die tragfähige Bodenschicht lag deutlich tiefer als erwartet. Alte Dunggruben und Brunnenschächte erschwerten die Arbeiten. Außerdem stiegen die Kosten infolge des Inflationsgeschehens 1923 in kaum fassbare Höhen: In der Bilanz wurde der Wert unserer Wohnanlage schließlich auf über 607 Billionen Mark veranschlagt!

Die neue Schiffszimmerer-Geschäftsstelle

Dennoch gelang es uns, in der Martin-Luther-Straße sechs Häuser mit jeweils fünf Stockwerken und zwei Wohnungen je Etage sowie einem Kellergeschoss zu bauen. Fünf der Häuser gruppierten sich um einen zur Straße hin offenen Gartenplatz. Alle Wohnungen erhielten elektrisches Licht und Glocken sowie einen Vorrats- beziehungsweise Kohlenkeller oder einen geräumigen Dachbodenraum. Die Mieterinnen und Mieter des Erdgeschosses freuten sich darüber hinaus über einen eigenen kleinen Garten. Insgesamt bauten wir 54 Wohnungen sowie vier Geschäfte mit dazugehörigen Wohneinheiten. Im ersten Stock der Hausnummer 27 entstand zusätzlich für die nächsten 20 Jahre unsere neue Geschäftsstelle.

Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg

Im Jahr 1943 zerstörten Fliegerbomben den Gebäudekomplex schwer. Wir verloren beinahe alle Geschäftsunterlagen. Ein Wiederaufbau der Gebäudesubstanz schien unmöglich. Aufgrund von Materialmangel bargen wir sogar Balken und Bretter aus den Ruinen, um damit andere beschädigte Wohnanlagen zu reparieren. Zu Kriegsende war der Komplex bis auf die Grundmauern zerstört.

Hürden beim Wiederaufbau

Nicht nur unsere Wohnanlage, auch die umliegenden Gebäude wiesen starke Schäden auf. Die Stadt Hamburg entschied, das gesamte Gebiet neu zu ordnen und nach modernen städtebaulichen Gesichtspunkten wiederaufzubauen. Als wir 1950 unser 75. Gründungsjubiläum feierten, hing der Wiederaufbau der Gebäude aber immer noch in der Schwebe: Der neue Generalbebauungsplan sah vor, einen großen Teil der Trümmerfläche „für Grünzwecke“ auszuweisen. Zudem plante die Stadt eine Verlegung des angrenzenden Schaarsteinweges, wofür sie einen Teil unseres Grundstücks benötigte. Letztendlich erhielten wir die Baugenehmigung, mussten aber einen Teil des Geländes abtreten.

Der Untergrund bereitete uns beim Bau erneut Probleme: Die alten, tiefliegenden Fundamentreste stammten teilweise noch aus der Zeit vor dem Hamburger Brand von 1842. Im Zuge der Neugestaltung mussten wir sie unter erheblichem Kosteneinsatz beseitigen. An einigen Stellen gruben wir bis zu acht Meter tief, um auf gewachsenen Boden zu stoßen.

Bis 1953 entstanden 46 Neubauwohnungen und ein Polizeirevier. In den späten 1970er Jahren modernisierten wir diese Wohnungen und bauten isolierverglaste Fenster ein. 1980 wurde die Polizeiwache nicht mehr benötigt. Den Platz nutzten wir für vier größere Wohnanlagen. Die beiden Wohnungen im Erdgeschoss gestalteten wir barrierearm und passten diese an die Bedürfnisse von Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrern an.

Neue Glocken für den Michel

In baulicher Hinsicht ist es in den vergangenen Jahrzehnten ruhig um unsere Wohnanlage in der Martin-Luther-Straße geworden. Das kann aber nicht für die Nachbarschaft gelten: Mit der Spendenaktion „So klingt Hamburg“ wurden im Herbst 2014 Gelder gesammelt, um damit die beiden fehlenden Uhrschlag-Glocken des Michel neu zu gießen. Diese waren im Ersten Weltkrieg für die Waffenproduktion eingeschmolzen worden. Vorher mussten jedoch die Stahlträger in der Kuppel erneuert werden. Schließlich wogen die beiden neuen Glocken über 2,5 Tonnen! Seit dem Frühjahr 2016 ist das Uhrschlagwerk wieder vollständig. Zu jeder Viertelstunde teilt das melodische Geläut unseren hiesigen Mitgliedern die aktuelle Uhrzeit mit. Das ist sicherlich oft hilfreich und unterhaltsam – an manch faulem Tag aber bestimmt auch lästig. Denn: Wer will schon immerzu an die Vergänglichkeit des Augenblicks erinnert werden?