Unsere Quartiere im Wandel

Wilhelmsburg: Stadtteil mit Inselflair

Im hafennahen Reiherstieg-Viertel unweit des Fähranlegers Ernst-August-Schleuse in unmittelbarer Nähe zum Deich liegt die einzige unserer Wohnanlagen jenseits der Norderelbe. Dort steht einer der ersten Gebäudekomplexe, die unsere Genossenschaft in Eigenregie gebaut hat. Seit der Fertigstellung 1910 hat unsere Wohnanlage in Wilhelmsburg eine bewegte Geschichte: Sie hat nicht nur den Zweiten Weltkrieg überstanden, sondern auch der Sturmflut 1962 getrotzt.

Zum Ende des 19. Jahrhunderts expandierte die Hamburger Hafenwirtschaft. Die Zahl der Arbeitskräfte stieg und mit ihr der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum in Hafennähe. Im Nordwesten der Elbinsel entstand ein urbaner Siedlungskern im sonst weitgehend ländlich-industriell geprägten Wilhelmsburg. Hier initiierte unsere Genossenschaft den Bau eines Gebäudeensembles mit dreizehn Häusern, die sich auf der südlichen Seite der Fährstraße in zwei Häuserblocks gruppierten.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde unsere Wohnanlage in Wilhelmsburg schwer beschädigt. Es gelang nach Kriegsende jedoch zügig, die Gebäude wiederherzurichten: Im Jahr 1946 wurden die Dächer zunächst provisorisch gedeckt, die Sielschäden beseitigt und die Wohnungen behelfsmäßig instandgesetzt. Einzelne Häuser waren teils bis zum Erdgeschoss zerstört. Auch diese konnten wir Mitte 1947 wieder an die ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner übergeben.

Wie dem Hochwasser trotzen?

Im Februar 1962 wurde Wilhelmsburg von der großen Hamburger Sturmflut schwer getroffen. Zahlreiche Deiche, die nach Kriegsende häufig nur notdürftig ausgebessert worden waren, brachen. Innerhalb weniger Stunden kamen über 200 Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger ums Leben, tausende Gebäude wurden zerstört. Obwohl unsere Wohnanlage im stark betroffenen Gebiet lag, blieb sie von größeren Schäden verschont. Allerdings erwiesen sich die städtischen Planungen in der Folgezeit als gravierender Unsicherheitsfaktor: Überlegungen liefen darauf hinaus, das Gelände zukünftig als Hafenerweiterungsgebiet auszuweisen. Zwischenzeitlich wurde von der Liegenschaftsverwaltung der Erwerb des gesamten Schiffszimmerer-Bestands in Wilhelmsburg geprüft. Es stellte sich die Frage, ob die dringend notwendigen Reparatur- und Instandsetzungsmaßnahmen überhaupt in Angriff genommen werden sollten, wenn die Gebäude mittelfristig ohnehin abgebrochen werden mussten.

Im September 1963 erfuhr unsere Genossenschaft zudem, dass Hochwasserschutzmaßnahmen geplant waren, die den Abbruch mehrerer Häuser erforderlich machen würden. Obwohl schwerwiegende Bedenken bestanden – denn ein Abriss ließ um die Standfestigkeit der übrigen Häuser fürchten – war das Vorhaben alternativlos. Letztendlich musste ein einzelnes Gebäude unserer Genossenschaft dem Deichbau weichen. Acht Wohnungen gingen dadurch verloren. Gleichwohl blieb die Unsicherheit wegen des zukünftigen Bebauungsplans bestehen. Erst Mitte der 1970er Jahre konnten wir unsere Wohnanlage schrittweise modernisieren: Grundrissveränderungen machten den Einbau von Bädern möglich. Die Wohnungen erhielten eine elektrische Beheizung, wesentliche Verbesserungen im Küchenbereich und Isolierglasfenster. Außerdem haben wir die Fassade völlig neu hergerichtet. Sie erzielte 1978 beim Fassadenwettbewerb des Bezirksamtes Harburg einen ersten Platz.

Stadtentwicklung: "Sprung über die Elbe"

Anfang der 2000er haben wir auch die rückseitige Fassade erneuert und teilweise mit Balkonen ausgestattet. Der Stadtteil hatte sich inzwischen deutlich gewandelt: Das besondere Inselflair mit den beschaulichen Kanälen und der einzigartigen Natur vor beeindruckender Industriekulisse war in den Fokus der städtischen Planungen gerückt. Die Stadt Hamburg gab den „Sprung über die Elbe“ als Ziel der Stadtentwicklung aus. Die Internationale Bauausstellung und die Internationale Gartenschau 2013 trugen zur Aufwertung des Stadtteils bei. Dass damit auch eine Gentrifizierung und somit die Verdrängung alteingesessener Bevölkerungsgruppen einhergehen würde, wurde im Stadtteil intensiv diskutiert. Aktuell geht diese Debatte in die nächste Runde: Parallel zu einer weiteren Deicherhöhung entstehen hier bald 5.200 neue Wohnungen, um laut der Stadt Hamburg vornehmlich junge Familien in den Stadtteil zu locken.