Unsere Quartiere im Wandel

Unser Schmuckstück in der Jarrestadt: Das Kranzhaus

Dunkelrote Backsteinblöcke und großzügige Frei- und Grünflächen, die durch imposante Torbögen erschlossen werden, prägen das Quartier im Stadtteil Winterhude. Im Westen Hamburgs leben Kinder, Familien, Seniorinnen und Senioren, Paare und Singles. Sie alle nutzen die Grünflächen zum Spielen oder für einen Klönschnack auf dem Balkon. Das Wohngebiet in der Jarrestadt entstand in den 1920er Jahren im Stil der Sachlichkeit und ist städtebaulich und architektonisch das bedeutendste Quartier Hamburgs. Heute steht es unter Denkmalschutz und ist weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.

Aufmerksame Leserinnen und Leser dürften sich an einen unserer ersten Beiträge erinnern, in dem wir ausführlich über die wechselvolle Geschichte unseres Otto-Stolten-Hofs berichteten. In jener Zeit bauten wir in unmittelbarer Nachbarschaft einen zweiten Wohnblock: Das Kranzhaus, benannt nach dem alten Amtshaus des Gewerkes der Schiffsbauer, in dem 1875 unsere Genossenschaft gegründet worden war. Das ursprüngliche Kranzhaus stand bis in die 1880er Jahre auf dem Brook und wurde schließlich abgerissen, um Platz für die neuen Bauten der Speicherstadt zu schaffen. Noch heute ziert das konturenhafte Bildnis des ursprünglichen Kranzhauses das Logo unserer Genossenschaft.

Fritz Schumacher und die Jarrestadt

Unsere beiden Gebäudeensemble Otto-Stolten-Hof und Kranzhaus liegen inmitten der traditionsreichen Jarrestadt in Winterhude. Diese entstand, als in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre der populäre Oberbaudirektor Fritz Schumacher einen Architekturwettbewerb initiierte, um auf staatlichem Gelände den Bau von etwa 1.750 Kleinwohnungen zu verwirklichen. Nach einem gleichförmigen Gestaltungskonzept, das die Lage der Straßen sowie ein einheitliches Fassadenbild vorgab und den Bau der Gebäude und Wohnungen reglementierte, sollten zunächst zehn Einzelblocks entstehen. Insgesamt gingen 214 Entwürfe ein, die nach den Kriterien „Grundrisseigenschaften“, „städtebauliche Gruppierung“, „architektonische Gestaltung“ und „Wirtschaftlichkeit des Bauens“ beurteilt wurden. Die zehn Erstplatzierten, die mehrheitlich dem Stil des „Neuen Bauens“ nahestanden, erhielten die Chance, jeweils einen der vorgesehenen Wohnblocks in der Jarrestadt zu realisieren. Im Falle des Otto-Stolten-Hofs war es der Stadtplaner und Architekt Friedrich Richard Ostermeyer, der in unserem Auftrag die Erstellung des Gebäudekomplexes übernahm. Anfang 1929 schlossen wir die Bauarbeiten ab.

Nur wenige Monate später entstand in unmittelbarer Nachbarschaft – zwischen Martin-Haller-Ring und Großheidestraße – das „neue“ Kranzhaus. 1930 stellten wir es in rotem Vor- und Hintermauerstein fertig. Der Entwurf ging auf die Architekten Alfredo Puls und Emil Richter zurück: Das Gebäudeensemble enthielt zunächst 144 Wohnungen mit einer durchschnittlichen Wohnfläche von rund 60 Quadratmetern sowie Bäder und eine zentrale Heizung und Warmwasserversorgung. Außerdem entstand hier Raum für mehrere Gewerbeeinheiten, die wir in späteren Jahren teilweise in Wohnungen umgewandelt haben. Wegen der wegweisenden Bauweise und der modernen Ausstattung zählte das Kranzhaus zu unseren begehrtesten, aber auch teuersten, Wohnanlagen.

 

Wiederaufbau nach dem Krieg

Im Sommer 1943 wurde der Bau schwer beschädigt, er brannte vollständig aus. In den beiden folgenden Kriegsjahren gab es mehrere Versuche, den Komplex wiederaufzubauen. Städtische Stellen unterstützten das Vorhaben mit Material und der Zuteilung von Kriegsgefangenen, die als Zwangsarbeiter vorrangig für die gefährliche Beseitigung von Schutt eingesetzt wurden. Allerdings scheiterten die Pläne. Zum Ende des Kriegs galt das gesamte Kranzhaus nach wie vor als unbewohnbar. Aufgrund der akuten Wohnungsnot hatten sich jedoch einige Bewohnerinnen und Bewohner provisorische Unterkünfte in den Kellerräumen eingerichtet.

Trotz der beschädigten Wohnungen galt der Komplex in seiner Gesamtheit als „außerordentlich gut erhalten“. Zudem sah die britische Militärregierung das Gebiet der Jarrestadt als „besonders aufbauwürdig“ an. Selbstverständlich hatten auch wir großes Interesse, eine unserer wertvollsten Besitzungen vor weiterem Verfall zu schützen. Ein zügiger Wiederaufbau scheiterte jedoch an der Frage der Baufinanzierung. Obwohl auch unsere Mitglieder im Rahmen der kollektiven Selbsthilfe tatkräftig mitwirkten, kamen die Aufbauarbeiten nur zögerlich voran. Erst 1949 konnten wir die letzten Wohnungen wiederherstellen.

Während wir beim Otto-Stolten-Hof weitreichende Veränderungen vorgenommen hatten, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, hielten wir beim Wiederaufbau des Kranzhauses aus technischen Gründen an den alten Grundrissen fest. Hier richteten wir außerdem unsere neue Geschäftsstelle ein, die unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon im September 1948 bezogen. Als wir 1961 mit unserer Geschäftsstelle in die neu errichtete Fuhlsbüttler Straße 672 umzogen, entstanden in den alten Räumlichkeiten zusätzliche Wohnungen und ein Laden.

In der ersten Hälfte der 1980er Jahre begannen wir damit das inzwischen denkmalgeschützte Kranzhaus zu modernisieren. Wir verstärkten elektrische Steigleitungen, verbauten Türsprech- und Öffnungsanlagen und integrierten isolierverglaste Fenster. Den ursprünglichen Charakter der Fassade erhielten wir. Überdies sorgten wir für Verbesserungen im Sanitärbereich. Weitere Maßnahmen folgten in den 2000er Jahren: Durch die Optimierung unserer Heizungs- und Warmwasseranlagen und energetische Modernisierungen konnten wir den CO2-Verbrauch zwischen 1997 und 2014 halbieren! Zuletzt haben wir uns der Instandsetzung der Fassaden zugewandt und auch hier hervorragende Ergebnisse erzielt.

 

Die Legende vom Kranzhaus

Wie das ursprüngliche Kranzhaus zu seinem Namen kam? Die Legende steht auf einer Tafelinschrift vor Ort:

„In alten Zeiten stand auf dem Brook das Kranzhaus, allen Schiffszimmererleuten bekannt. Es war das Vermächtnis einer Kaufmannstochter an die deutschen Schiffszimmerer. Sie hatte sich einem jungen Schiffszimmerer versprochen. Ihr Vater wollte die Ehe nicht eher zulassen, als der Bräutigam sich auf See bewährt hatte. Auf seiner ersten Fahrt fand er den Seemanstod. Seine Frau blieb ihm treu und starb als Jungfrau. Ihr zu Ehren brachten die Schiffszimmerer ihr Standbild an dem Hause an. Sie schmückten es mit einem Kranze, wenn sie in jedem dritten Jahre bei der Kranzfeier der Jungfrau und des ihr verlobten Schiffszimmerers mit festlichen Reden und Sprüchen gedachten. Das Kranzhaus wurde 1684 durch Feuer zerstört. 1685 errichtete es das Schiffsbauamt neu. 1888 musste es Hamburgs Zollanschluss an das Deutsche Reich weichen. 1930 baute die Allgemeine Deutsche Schiffszimmerer-Genossenschaft dieses Haus und gab ihm den alten Namen. Ein Denkmal der Treue soll den Sinn unserer Genossenschaft überliefern.“