Unsere Quartiere im Wandel

Wohlwillstraße: mit die ältesten Häuser unseres Bestands

Einst landeten hier die Seefahrer und amüsierten sich, heute ist es der Kultstadtteil Hamburgs. Gelegen im Bezirk Hamburg-Mitte ziehen die Amüsiermeile auf der Reeperbahn, der Hafen und die Landungsbrücke viele Touristen und Hamburgerinnen und Hamburger nach Sankt Pauli. Seinen heutigen Namen verdankt der Stadtteil der Sankt Pauli Kirche, benannt nach dem Apostel Paulus. In dem beliebten Viertel finden Sie auch sechs unserer Wohnanlagen. Heute nehmen wir Sie mit in die Wohlwillstraße.

An lauen Wochenendnächten führt eine beliebte Pendelstrecke zwischen Schanze und Kiez tausende von Nachtschwärmerinnen und Nachtschwärmern durch die Wohlwillstraße. Und auch am Tag ist die Straße gut gefüllt: Cafés, Kneipen, Kleider-, Fahrrad- und Plattenläden locken zahlreiche Besucherinnen und Besucher an und laden zum Verweilen ein. Seit einigen Jahren hat sich der nördliche Teil der Straße mit seinen Kiosken und dem angrenzenden Arrivati-Park zu einem Corner-Hotspot entwickelt. Menschentrauben, wohin man blickt!  Jenseits des Paulinenplatzes – im südlichen Teil der Straße – geht es etwas geruhsamer zu. Hier, am Rande des Trubels, finden Sie unsere Wohnanlage Wohlwillstraße. Sie beherbergt etwas ganz Besonderes – mit die ältesten Häuser unseres Bestands!

Die Geschichte der Gebäude hängt eng mit unserer eigenen Entstehungsgeschichte zusammen: Wir sind zwar Hamburgs älteste Wohnungsbaugenossenschaft, in den ersten Jahren nach unserer Gründung 1875 beschränkten wir uns aber auf den Ankauf und Betrieb von Schiffswerften. Erst 1890 – mit der einsetzenden Krise des Holzschiffbaus – wandten wir uns dem Wohnungsbau zu. Um die Jahrhundertwende nahmen wir unser erstes eigenes Bauprojekt in Angriff. Schon zuvor hatten wir etwa 160 Wohnungen erworben. Diese befanden sich in der Thal-, Ida-, Erich- und Jägerstraße, die heute Wohlwillstraße heißt. Nur die Gebäude in der Wohlwillstraße sind heute noch in unserem Besitz. Es handelt sich um zwei Vorderhäuser und sechs kleine, querstehende Hinterhäuser – sogenannte „Hamburger Terrassen“. Sie können sie durch einen Torbogen mit Wohnweg von der Straße aus erreichen.

Die wechselvolle Geschichte unserer Wohnanlage

Die Geschichte der Wohnanlage geht auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. In dieser Zeit unterstützte der Senat durch verbilligte Abgabe von Grundstücken gemeinnützige Bestrebungen: Ein öffentlich gefördertes Wohnungsfürsorgewesen entstand. Zwischen 1866 und 1870, noch vor der Reichsgründung, wurde eine erste Wohnanlage in der Jägerstraße 20/28 errichtet. Im Jahr 1874 – inzwischen hatte der Senat ein Gesetz zur Förderung von Kleinwohnungsbauten verabschiedet – bebaute ein lokaler Bauunternehmer die gegenüberliegende Seite (Hausnummern 7/23). Er konzipierte drei Doppelhäuser mit jeweils zwei Reihenhinterhäusern.

1892 erwarben wir den Mittelbau (13/17) des Komplexes. Im vorderen Doppelhaus war Platz für 24 Parteien und vier Kellerläden. Die Hinterhofbebauung, die nun „Schiffszimmererterrassen“ genannt wurde, verfügte über 30 kleine Wohnungen. In den folgenden Jahrzehnten sanierten und modernisierten wir die Gebäude mehrfach: Wir bauten elektrische Beleuchtungen, zusätzliche Fenster und Schornsteine ein, besserten Fassaden aus und erneuerten Fußböden. Vor besondere Herausforderungen stellte uns die Entfernung von Hausschwamm, der sich hier breitgemacht hatte. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Wohnanlage durch Bombenschäden in Mitleidenschaft gezogen. Wir konnten diese jedoch zügig wiederinstandsetzen. Die Dachstühle der Hinterhäuser mussten wir aber teilweise durch Flachdächer ersetzen.

Historische Entdeckung

Weitere Modernisierungsmaßnahmen ergriffen wir 1974. Die Vorderhäuser erhielten Badezimmer, Elektrospeicherheizungen und neue Fenster. Schon 15 Jahre davor wollten wir die Dachstühle in den Hofbauten wiederherstellen. Das Bauamt riet damals jedoch davon ab, da in diesem Gebiet größere Sanierungsmaßnahmen bevorstanden. Umfassende Pläne zur Stadtteilentwicklung folgten aber erst 1978: Das Programm „Stadterneuerung in kleinen Schritten“ (SikS) machte die Runde. Die Terrassenbebauung galt in diesem Konzept als nicht erhaltenswert.

Proteste vonseiten der Bevölkerung folgten, als 1982 die ersten alten Hinterhöfe entkernt wurden. Auch wir hatten längst einen Abbruchantrag eingereicht, ehe der wachsende Unmut Gehör fand und eine intensive historische Beschäftigung mit der Thematik einsetzte. Dabei stellte sich heraus, dass hier die letzten als Ensemble erhaltenen Reformbauten jener Jahre standen. Schon aus Denkmalschutzgründen mussten diese unbedingt erhalten werden! Sukzessive setzte sich diese Einsicht in der Stadterneuerungspolitik durch.

Und auch bei uns setzte langsam ein Umdenken ein. Noch 1989 stand der Abriss unserer Hofbauten, der in diesem Jahr genehmigt wurde, zur Debatte. Das Vorhaben wurde zum öffentlichen Skandal. Schließlich hatte der Senat die Bauten schon 1987 als erhaltenswürdig eingestuft! Die Abrissarbeiten wurden gerichtlich gestoppt und das Denkmalschutzamt intervenierte. Letztlich einigten wir uns mit dem Senat, der die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellte, auf ein Erhaltungskonzept.

Heute sind wir froh, dass sie uns erhalten geblieben sind, mit die ältesten Häuser unseres Bestands. Jüngst haben wir die Dächer saniert. Für den 150. Geburtstag im übernächsten Jahr sollen die historischen Gebäude – eines der ältesten Beispiele des sozialen Wohnungsbaus in Hamburg – im neuen Glanz erstrahlen.